Das Sein

Aus Hamlet von Shakespeare ist der Satz „To be or not to be“ bekannt, der Beginn eines Monologs von Hamlet im 3. Aufzug 1. Szene, in dem er resümiert, vor einem entschlossenen handeln Scheu zu haben, da er trotz Todessehnsucht und Weltschmerz Angst vor dem Tod hat.

Englischer Text

 

To be, or not to be, that is the question:
Whether 'tis nobler in the mind to suffer
The slings and arrows of outrageous fortune,
Or to take arms against a sea of troubles,
And by opposing, end them? To die: to sleep;

No more; and by a sleep to say we end
The heart-ache and the thousand natural shocks
That flesh is heir to, ’tis a consummation
Devoutly to be wish’d. To die, to sleep;
To sleep: perchance to dream: ay, there’s the rub;

For in that sleep of death what dreams may come
When we have shuffled off this mortal coil,
Must give us pause: there’s the respect
That makes calamity of so long life;
For who would bear the whips and scorns of time,

The oppressor’s wrong, the proud man’s contumely,
The pangs of despised love, the law’s delay,
The insolence of office and the spurns
That patient merit of the unworthy takes,
When he himself might his quietus make

With a bare bodkin? who would fardels bear,
To grunt and sweat under a weary life,
But that the dread of something after death,
The undiscover’d country from whose bourn
No traveller returns, puzzles the will

And makes us rather bear those ills we have
Than fly to others that we know not of?
Thus conscience does make cowards of us all;
And thus the native hue of resolution
Is sicklied o’er with the pale cast of thought,

And enterprises of great pith and moment
With this regard their currents turn awry,
And lose the name of action. ‑ Soft you now!
The fair Ophelia!
Nymph, in thy orisons
Be all my sins remember’d.

 

 

Deut­sche Über­set­zung von Au­gust Wil­helm von Schle­gel:


Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben ‑ schlafen ‑

 

Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
Die unsers Fleisches Erbteil, ’s ist ein Ziel,
Aufs innigste zu wünschen. Sterben ‑ schlafen ‑
Schlafen! Vielleicht auch träumen! Ja, da liegts:

 

Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
Wenn wir die irdische Verstrickung lösten,
Das zwingt uns stillzustehn. Das ist die Rücksicht,
Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen.
Denn wer ertrüg der Zeiten Spott und Geißel,

 

 

Des Mächtigen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,
Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,
Den Übermut der Ämter und die Schmach,
Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,
Wenn er sich selbst in Ruhstand setzen könnte

 

 

Mit einer Nadel bloß? Wer trüge Lasten
Und stöhnt’ und schwitzte unter Lebensmüh?
Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod,
Das unentdeckte Land, von des Bezirk
Kein Wandrer wiederkehrt, den Willen irrt,

 

Daß wir die Übel, die wir haben, lieber

Ertragen als zu unbekannten fliehn.
So macht Bewußtsein Feige aus uns allen;
Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;

 

Und Unternehmen, hochgezielt und wertvoll,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
Verlieren so der Handlung Namen. ‑ Still!
Die reizende Ophelia! ‑ Nymphe,
schließ
In dein Gebet all meine Sünden ein!

 


Das Sein ist im Hamlet das irdische Dasein, das Nichtsein der Tod. Aber ist das Sein auf diese metaphysiche Ebene beschränkt ? Die Frage des Seins ist ebenso wie die Frage nach dem Sinn der Existenz der Welt, nach dem Sinn der Existenz des Universums eine letzte Frage.

 

Sein ist, wie im Hamlets Monolog niedergelegt, das Gegenwärtige, weshalb das Nichtsein dessen Abwesenheit, symbolisiert durch den Tod, charakterisiert. Aber ist das Sein tatsächlich auf eine existentielle Bedeutung reduziert ? Ist nicht Sein die Allgegenwart, unbeschadet der physischen Existenz ?

 

Aus dem religiösen Blickwinkel müsste man jedenfalls alleine durch die Anerkennung eines oder mehrerer Götter von der Allgegenwart des Seins ausgehen. Denn der Gott oder die Götter sind nicht reale Existenzen, also physisch nicht fassbar. Nun werden aber in den Religionen Ausnahmen gemacht, die es dem Gläubigen ermöglichen sollen, den Gott doch greifbar zu haben: Die Götter der griechischen Mythologie haben sich unter das Volk gemischt, im christlichen Glauben schickt Gott seinen Sohn in Menschengestalt auf die Welt, lässt ihn gar von einer Sterblichen gebären (was wieder an die Halbgötter der griechischen Mythologie erinnert). Das Sein als Ausdruck einer Allgegenwart wird eingeschränkt.

 

Während nach den Religionen das Übersinnliche letztlich zwar nicht als real fassbare Existenz dargestellt wird, wird doch eine Existenz symbolisiert, die dem Mensch in anderer Form entspricht und mit dem auch kommuniziert werden kann (so im Gebet). Damit wird aber die Gottheit letztlich auf eine reale Stufe erhoben, die dem Hier und Jetzt angepasst ist. Ist dass das Sein ?

 

Es würde nicht die Frage beantworten, weshalb die Welt usw. überhaupt existiert, wollte man nicht in der gesamten Bildung des Universums, der Galaxien nur den göttlichen Willen sehen, etwas für den Menschen zu schaffen und damit das Menschsein als die Grundlage der Existensberechtigung ansehen. Dies aber wäre wohl anmaßend, benötigt doch der Mensch nicht ein Universum und war auch Mensch (entgegen der Schöpfungstheorie der großen Religionen) nicht der Ursprung der der Galaxien, sondern trat erst wesentlich später in Erscheinung. Er ist nur Folge einer Evolution und kann nicht als Grund der Evolution angesehen werden. Wäre er der Grund, hätte er auch wohl vorne gestanden.

 

Das Sein kann also nicht auf die reine Existenz beschränkt werden. Sein ist auch das, was nicht existent ist. Sein ist der Zusammenhang zwischen dem, was existent ist und dem Unbekannten. Damit gehört zum Sein notwendig auch der Tod. Dieser ändert nicht das Sein, sondern nur den Zustand.

 

 

Einstein hat die Fiktion von Zeit und Raum als Illusion angesehen. Zeit und Raum sind ein menschliches Rüstwerk, dass stets der Vergänglichkeit angehört. Was morgen ist, wird übermorgen gestern sein, und selbst das Heute ist eine Zeitspanne, die in Mikrosekunden schon dem Gestern anheimfällt. Der Kosmos lebt nicht in diesen menschlich geprägten Komponenten. Seine Unendlichkeit hebt sowohl die Zeit als auch den Raum auf. Er spiegelt ein Sein, dessen Quelle unbekannt ist. Wir reden vom Urknall und betrachten diesen gemeinhin als Beginn den Beginn des Universums, bei dem Materie, Raum und Zeit aus einer Singularität entstanden sein sollen. Der Physiker Bojowald hat aber mittels der  Theorie der Quantenschleifen-Gravitation nachgewiesen, dass es schon vor dem Urknall ein Universum gab. Und es wird zwischenzeitlich auch die Theorie vertreten, dass es nicht nur ein Universum gibt, nicht nur einen Kosmos, sondern Multiversen. Das Sein ist Teil dieser Struktur. Es ist In- und Output zugleich. Es ist mithin die Ganzheit, keine strukturelle Singularität.