Gerechtigkeit im Recht - ein Paradox ?


Gerechtigkeit. Immer wieder gefordert. Dem Opfer soll Gerechtigkeit widerfahren. Das Urteil soll gerecht sein. Aber was ist Gerechtigkeit? Gibt es überhaupt Gerechtigkeit ?

 

Gerechtigkeit als Grundnorm menschlichen Zusammenlebens. Gesetzgebung und Rechtsprechung berufen sich darauf. Nach Platon ist Gerechtigkeit die innere Einstellung, wonach jeder das tut, was seine Aufgabe ist, demgegenüber Aristoteles und Thomas von Aquin in ihr eine Drittbezogenheit (Intersubjektivität) sehen. Im Grundgesetz wird die Gerechtigkeit in Art. 3 Abs. 1 („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ und Art. 1 Abs. 2 („Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ dargestellt.

 

Aber gibt es im Recht Gerechtigkeit ? Das Wort Recht kommt zwar als Bestandteil von Gerechtigkeit vor. Aber getrost wird man es als Füllsel der Begrifflichkeit ansehen dürfen. Denn damit wird nur auf die Grundlage verwiesen, ohne der Grundlage selbst das Attribut zu geben. Recht und Gerechtigkeit als Einheit ?

 

Recht ist das gottgewollte Recht (wegen mir wiedergegeben z.B. im kanonischen Recht) und das vom Staat geprägte Recht. Das eine bezieht sich auf eine Glaubensphilosophie, deren Grundlagen ethische und moralische Erwägungen sein sollen, das andere basiert auf der Schöpfung der gesetzgebenden Gewalt. Damit ist aber auch Unrecht Recht, wie mehr als deutlich Hitler durch die auf der Notstandsgesetzgebung basierenden eigenen Rechtgebung dokumentierte. Recht entlarvt sich damit als Produkt menschlicher Begrifflichkeit.

 

Ist mithin gerecht, was auf Recht basiert ? Bejaht man dies, würde man auch Unrecht notwendig als gerecht im Sinne der Definition ansehen müssen. Jedenfalls dann, wenn Unrecht selbst auf der Basis des Rechts geschaffen wird.

 

Gerechtigkeit durch die Jurisprudenz kann aber dann nicht erwartet werden, wenn die Rechtsprechung das Recht anwendet. Es sei denn, Prämisse für Gerechtigkeit in der Rechtsprechung wäre die Beachtung des geltenden Rechts.

 

Aber auch diese Prämisse verfängt nicht. Abweichende Entscheidungen zu verschiedenen gleichgelagerten Sachverhalten verdeutlichen, dass Recht dehnbar ist. Gesetze werden von verschiedenen Gerichten unterschiedlich ausgelegt. Eine gewisse „Anpassung“ ist zwar auf einem teuren Instanzenweg möglich und damit eine Vereinheitlichung der Anwendung von Normen. Aber nicht in jedem Fall sind entsprechende Rechtsmittel möglich (oder auch finanziell machbar).

 

Wie das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 25.01.2011 – 1 BvR 918/10 – auch aufzeigte, hat der gestaltende Spielraum des Gerichts seine Grenze dort, wo es an einer Grundlage für die Gesetzesauslegung im Gesetz und in den Gesetzesmaterialien ermangelt und nicht ersichtlich eine Lücke vorliegt, die entsprechend geschlossen worden wäre, hätte der Gesetzgeber dies erkannt. Das Gericht ist mithin nicht Hüter einer allgemeinen Gerechtigkeit, allenfalls Anwender des Rechts und Bewahrer einer darauf basierenden Gerechtigkeit.

 

Gerechtigkeit im Sinne ethischer und moralischer Vorstellungen, in Bezug auf soziale Belange usw. ist also nichts anderes als die Bestimmung des Rechts über Subjekte und ihre Belange. Damit reduziert sich Gerechtigkeit auf eine Empfindung. Sie ist nicht Maß sondern Ausfluss.