Der rettende Gedanke...


 

Ging es Ihnen auch schon einmal so ? Sie saßen da, grübelten, aber es fiel Ihnen nichts ein, wirklich nichts. Sie könnten das Problem, dass Sie gedanklich in Anspruch nahm, nicht lösen, sondern sahen immer mehr nur eine Ausweglosigkeit. Und dies eventuell noch zu zur Unzeit, wenn es nun wirklich nicht die Zeit ist, in der Sache weiterzukommen. Die Zeit rinnt davon.

 

So saß ich einmal, der Schreibtisch vor mir belegt mit etlichen losen Seiten aus einer Akte, aufgeschlagene Bücher, aufgeschlagene Fachzeitschriftenbände, und auch das Internet mit Recherscheprogramm aktiv. Ich saß da, und las immer wieder die vor mir liegenden Papiere, eine Klage nebst Anlagen. Aber um so häufiger ich diese Papiere las, um so mehr erschien mir die Klage plausibel und mit den Bekundungen des Mandanten nicht widerlegbar. Die Angaben in der Klage waren schlüssig und es sprach auch der Beweis des ersten Anscheins für sie. Demgegenüber waren die Angaben meines Mandanten zwar auch für sich schlüssig und damit im Juristendeutsch erheblich, doch wäre er hier für seine Darlegungen beweisbelastet - und diesen Beweis konnte er nicht führen. Nicht dass ich meinem Mandanten nicht geglaubt hätte - im Gegenteil. Ich war fest von der Richtigkeit seiner Version des Geschehensablaufs überzeugt, doch wurde er Opfer seiner Gutmütigkeit gegenüber einem Gegner, der es gerade darauf angelegt hatte. Wenn es aber nicht möglich war den tatsächlichen Sachverhalt zu belegen und damit die Klage zu Fall zu bringen, mußte es doch ein rechtliches Fenster geben - aber welches ? Und: Die Zeit war knapp. Immerhin hatte sich der Mandant reichlich Zeit gelassen, einen Anwalt aufzusuchen.

 

Ich fing mich an zu ärgern. Weshalb kam er auch so spät. Er hätte doch früher kommen können. Die Frist läuft heute ab. Damit hat man auch keine Zeit mehr, sich eingehend Gedanken zu machen. Vielleicht gab es doch noch ein "Loch", durch welches man dem sicheren Prozessverlust entweichen konnte. Und wenn er schon so spät kommt, dann hatte er es letztlich selbst in Schuld, wenn man dieses aufgrund Zeitknappheit nicht findet.

 

Und die Zeit rann hin wie der Sand durch die Sanduhr. Was sollte nun der Ärger ? Er brachte gar nicht weiter. Aber das immer neue Lesen auch nicht. Überlegen. Alle rechtlich möglichen Konstruktionen durchdenken. Wieso fallen einen dabei immer mehr abstruse Ideen ein, die doch von vornherein in der Sackgasse enden müssen ? Der Rinnsal des Sandes wird immer dünner.

 

Es klopft. Eine Kollege steckt vorsichtig den Kopf rein. Noch da, fragt er . Blöde Frage - sieht er doch. Es ist immer wieder interessant mitzubekommen, mit welchen der Antwort entbehrlichen Fragen ein Gespräch begonnen wird, insbesondere dann, wenn der Frager etwas bestimmtes will. So auch hier. Natürlich wartete er nicht auf ein Ja oder ein Wie Du siehst. Er nahm mein undeutliches Grunzen (letztlich nur Ausdruck der Verärgerung über die Störung) als Einladung an, die nächste Frage zu stellen, ob er nämlich etwas fragen könne. Damit hatte er bereits zwei Fragen gestellt, wobei die Frage, ob er eine (ich betone: eine) Frage stellen könne, doch unabhängig von der Ant-

wort eine weitere Kommunikation unnütz machen würde. Ich sagte nichts. Die Zeit schritt fort. Aber, es war wohl ohnehin hoffnungslos. Ich lehnte mich zurück. Dies nahm nun der Kollege zum Anlass zu erklären, er habe einen Fall, bei dem er ein rechtliches Problem habe und gerne meine Ansicht wüsste. Die Begeisterung hielt sich bei mir in Grenzen d.h. sie entwich aus mir nicht. Gleichwohl begann der Kollege nun seinen Fall zu schildern um im Anschluss daran rechtliche Erwägungen zu knüpfen und die Frage zu stellen, wie ich es einschätzen würde. Ich ? Ich hatte doch kaum zugehört, war ich doch - obwohl ich mich zurückgelehnt hatte, mit jedenfalls einer Gehirnhälfte (wenn solches möglich sein sollte) noch bei meinem eigenen Problemfall. Und die Zeit schritt immer weiter fort.

 

Der Kollege wartete gespannt. Ah, er wollte jetzt wohl etwas von mir hören. Wie war das noch einmal ? Ich dachte kurz die wesentlichen Essentials dessen durch, was er mir gesagt hatte. Tatsächlich, rechtlich komplex. Warum versucht er es nicht einfacher ? Ich besann mich kurz und erklärte ihm, daß ich sein Problem nicht verstehen würde. Nach den von ihm geschilderten Daten, wenn ich diese richtig vermerkt hätte, wäre doch der Anspruch seines Gegners verjährt, weshalb es auf den Rest nicht ankäme. Er sah mich an. Dann ging ein Grinsen über sein Gesicht. Man muss nur die Lösung erfragen, meinte er. Viel Spaß waren seine kurzen letzten Worte, die er bereits sprach, als er - die Tür offen lassend - den Flur runter eilte zu seinem Zimmer.

 

Ja, man muss nur fragen. Und weshalb verschwindet er, bevor ich fragen kann ? Die Zeit verrinnt, die restlichen Sandkörner lassen sich zählen.

 

Wieder nahm ich die Papiere vor mir auf, wieder las ich die Klagebegründung. Aber wie durch einen Traum geprägt las ich nunmehr die Daten, vermerkte diese bei mir - und mußsse laut lachen. Wieso bin auch ich den schwierigen Weg gegangen, eine neue rechtliche Einordnung zu finden, aus der heraus ich die Klageforderung widerlegen kann ? Schon die Daten waren ausreichend. Die Forderung, sollte sie denn jemals existent gewesen sein, wäre jedenfalls nach dem eigenen Vortrag des Gegners verjährt.

 

Es war, als wäre die Sanduhr noch ganz voll. Denn nunmehr war es ein sehr kurzes Diktat, und die geduldig abwartende Sekretärin war erleichtert, dass sie zu später Stunde kein langes Diktat unter Zeitnot schreiben durfte.

 

Gleichwohl mußte ich mich noch einmal über den Mandanten ärgern. Wieso musste er auch erst kurz vor dem Fristablauf kommen ? Wäre er früher gekommen - dann wäre es mir sicherlich in der Ruhe der Zeit sofort aufgefallen. Oder ?