Gerechtigkeit

§ 1. S. war Jurist. Kein guter Jurist, aber auch kein schlechter Jurist. Ein mittelmäßiger Jurist, eben ein Jurist. Er sah nicht schlecht aus, aber er sah auch nicht gut aus. Nun, er sah eben durchschnittlich aus. Er war Anwalt, kein guter Anwalt, aber auch kein schlechter Anwalt, eben Anwalt. Und er saß in seinem eigenen Büro, keinen schönen Büro, aber auch nicht unschön, eben Büro.

 

S. hatte nicht wenige Mandanten, aber auch nicht gerade viele. Aber er war damit zufrieden. Er rauchte, nicht viel, aber auch nicht wenig.

 

So saß S. wieder über einen Schriftsatz gebeugt, die Zigarette zwischen den Zähnen, im linken Mundwinkel, etwas nach unten hängend (so hatte er es einmal in einem Hollywoodfilm gesehen und äffte es seither nach). Etwas Asche mit Glut fiel von der Zigarette ab und direkt auf das vor ihm liegende Schriftstück, in welches es ein kleines Loch brannte und einen braunen Rand rundherum zeichnete, um dann zu erlöschen, als S. mit der Faust darauf schlug und einen lauten Fluch ausstieß. S. fluchte nicht häufig, aber auch nicht selten.

 

S. nahm die Zigarette aus dem Mund, betrachtete sie, dann das Schriftstück mit dem Loch. Was für ein Schriftsatz. Gespickt mit Hinweisen und Zitaten, Rechtsansichten und - man sollte es nicht fassen - sogar Sachverhalt. Darauf nun war zu erwidern. Ein mühseliges Unterfangen. Zunächst benötigte er Informationen vom Mandanten, und dann musste er sich mit den rechtlichen Problemen auseinandersetzen. Oder umgelehrt ? Sollte er sich nicht zuerst mit der von der Gegenseite benannten Rechtsproblematik auseinandersetzen, um zu wissen, welche Informationen er benötigt ? Egal, beides war aufwendig. Nun, S. war nicht gerade faul, aber auch nicht gerade fleißig.

 

So stand er auf, zog seinen Lodenmantel an (ob dieser ob seines Aussehens noch diese Bezeichnung zuerkannt bekommen sollte, soll hier nicht beurteilt werden), warf sich einen Schal um, ging aus dem Zimmer über einen Flur, öffnete die Tür, ging ins Treppenhaus und dort die alte, unter seinen festen Tritt knarrende Holztreppe hinab. Braucht auch einmal einen neuen Anstrich, dachte er beim Hinabgehen. Sollte der Vermieter einmal machen. Er lächelte in sich hinein. Bei der Miete ? Und: Seine Büro sah auch nicht besser aus, es passte eben zusammen.

 

Die schwere aus Eiche bestehende Hauseingangstür, die wohl auch schon bessere Tage gesehen hatte, stand halb offen. Der Schließmechanismus funktionierte nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Warum machen sie die Leute nicht mit der Hand zu, fragte sich S. Er öffnete sie weiter, ging raus - zog aber die Tür nicht zu. Wieso ich, dachte er.

 

Draußen war es schon dunkel. Es war kalt und regnete. Trotzdem herrschte ein geschäftiges Treiben. S. mischte sich unter die Fußgänger und ließ sich mit treiben. Nach ca. 150m bog er nach rechts in eine kleine Seitenstraße ein. Dort waren kaum Fußgänger. Nach weiteren 20m blieb er vor einem Haus stehen. Er sah sich das Haus an. Seit Jahren kannte er es. Ein altes Haus, ähnlich jenem, in dem sich sein Büro befand – auch vom äußeren Zustand her. Unten befand sich eine Gastwirtschaft, Kneipe dachte er. Er trat ein. Rauchige Luft empfing ihn. Gut dass das Rauchverbot nicht mehr gilt, dachte S. Mehrere Personen befanden sich in der Wirtschaft. Einige saßen an Tischen, die meisten standen am Tresen. S. ging zum Tresen. Jemand grüßte ihn, er grüßte zurück. Hinter dem Tresen eine schon ersichtlich gealterte Wirtin, deren Kleid nicht gerade frisch aus einer Modenschau kam. Sie grüßte ihn und stellte ihm ein Pils und einen Schnaps hin. S. griff beides mit der rechten Hand, das Schnapsglas hinter das Bierglas, und trank einen großen Schluck, bei dem sich das Schnapsglas direkt in den Mund ergoss. Er stellte beides hin und wischte sich mit der Hand über den Mund.

 

Jetzt ging es ihm schon besser.

 

Er kannte - jedenfalls vom Sehen - alle in der Kneipe. Weshalb sie, wie er, so häufig hier waren, wusste er nicht. Es kümmerte ihn auch nicht. Man sprach zwar miteinander, aber nur belanglos. Nie wurde etwas direkt gefragt, nichts persönliches. Keiner wollte sich ins Innere blicken lassen. S. auch nicht. Wem ging es etwas an ?

 

Damals, beim Studium, hatte er noch hochtrabende Ideale. Er wollte die Welt verbessern. Gerechtigkeit stand auf seiner Fahne. Das aber ist lange her. Die Realität, wie er es nannte, hatte ihn schnell eingeholt, nachdem er mit Beendigung des Referendariats eine Anstellung suchte. Kein Bedarf für ihn, die Abschlussnoten zu schlecht. So machte er sich selbständig und lebte davon, so gerade. Die meisten Vertretungen machte er auf Beratungshilfescheinen und mit Prozesskostenhilfe. Wie die Mandanten so die Mandate, dachte er. Gerechtigkeit ? Keiner fragte danach; jeder wollte nur Recht bekommen. Es stimmt schon, Recht bekommen und Recht haben sind zwei Paar Schuhe. Gerechtigkeit ? Die Suche danach hat er mit dem Berufsleben aufgegeben.

 

Aufgeben. Wieso hat das gerade sein Nachbar am Tresen gesagt ? Er schaute rüber. Dieser unterhielt sich mit einer weiteren Person neben ihm.

 

M. müsse Insolvenz anmelden. Die Bank habe seinen Kredit gekündigt. Ohne Grund. Die, und damit dürften die Mitarbeiter der Bank gemeint sein, wollten sich nur die Rechte an seiner Erfindung billig bemächtigen. So sind sie nun einmal, sagte S., sich ins Gespräch einmischend. Sein Nachbar nickte. Bankkrise hin und her, die Banken machen immer noch was sie wollen und sind immer noch mächtig, sagte sein Nachbar. Es trifft eben immer die Falschen, warf dessen Gesprächspartner ein.

 

§ 2. Dafür, dass er heute keinen Gerichtstermin wahrzunehmen hatte, wie fast immer, war S. für seine Verhältnisse früh unterwegs. Es war gerade erst 8 Uhr. Er fuhr mit der U-Bahn drei Stationen und ging aus dem Schacht hoch. Er schaute sich um. Hohe Bürogebäude säumten die Straße. Direkt vor ihm die von ihm gesuchte Hausnummer. Er ging hin. Eines der Firmenschilder verwies auf eine M. & Co. Investment. Im Haus war ein Empfang. Dort fragte er, wo er die Gesellschaft finden könnte. Die adrett gekleidete junge Frau am Empfang musterte ihn von oben bis unten, als hätte sie ein seltenes, für ausgestorben gehaltenes Exemplar eines homo sapiens vor sich. Sie erkundigte sich nach dem Grund. Er wolle zu einer Besprechung. Ob er einen Termin habe. Nein, den würde er direkt vereinbaren.

 

Sie griff nach dem Telefonhörer, wählte eine Nummer, und sagte nach einiger Zeit - es dürfte sich wohl am anderen Ende der Leitung jemand gemeldet haben - ein Mann (nicht Herr) wolle zur M. & Co. Dann legte sie auf, schaute nach unten und sagte barsch 12. Stock rechts.

 

S. ging zu den Aufzügen. Keine Knöpfe. Ein Aufzug öffnete sich. Er ging hinein. Wieder keine Knöpfe. Die Tür schloss sich und der Fahrstuhl fuhr los. An der Anzeige sah S. die Stockwerke vorbeirauschen und bei 12. blieb er stehen. S. stieg aus. Er ging nach rechts. Dort war eine Tür mit der Aufschrift M. & Co. Investment. Es gab sogar so etwas wie eine Klingel. S. drückte. Die Tür ging automatisch auf und S. ging hinein. Es kam ihm jemand in einem feinen Nadelstreifenanzug entgegen, der ihn ebenfalls von Kopf bis Fuß musterte und ungläubig fragte, ob S. zu ihm wolle. S. erwiderte, dass er dies nicht wisse, er wolle zu Herrn M. Das sei er. Dann wolle er zu ihm. Und weshalb ? Wegen der Insolvenz. M. runzelte die Stirn. Was er wolle, wollte M. wissen.

 

S. erzählte ihm, er habe von der Kreditkündung durch die D-Bank gehört und wisse, dass dies die Insolvenz für das Unternehmen bedeute. Er kenne sich mit diesen Dingen aus, sei Anwalt, und wollte seine Vertretung anbieten. M. verfiel, ihn noch einmal von oben nach unten und umgekehrt musternd, in ein schallendes Gelächter. Er hob etwas den rechten Arm, als wolle er den Besucher bitten das Büro zu verlassen, hielt aber plötzlich inne, wurde nachdenklich, ernst, nahm den Arm herunter und forderte nun S. auf, ihm zu folgen. Sie gingen etwas auf dem langen Flur um dann nach links in einen hellen großen Büroraum mit modernen Interieur zu treten, in dem M. hinter einen Schreibtisch setzte und S. aufforderte, vor diesem Platz zunehmen.

 

Ob er sich wirklich in Bank- und Insolvenzrecht auskenne, wollte M. wissen. Frag nur keine Details, dachte S. und bejahte die Frage und gab ferner an, dass er sich auch in Patentrecht und der Behandlung von Erfindungen auskenne. M. kräuselte fast unmerklich die Stirn, aber nur kurz. Das wäre gut, meinte M. Er bräuchte wirklich jemanden und wollte sich gerade heute nach einem Experten bei den namhaften Kanzleien umsehen. Aber wenn der Experte zu ihm käme, hätte er auch nichts dagegen. Allerdings, M. zögerte etwas, allerdings müsse sich derjenige, der hier die Verhandlungen führe, wohl etwas passender kleiden.

 

S. wurde verlegen. Wie sollte er fortfahren ? Brauchte M. nun Hilfe, oder konnte er sich doch noch namhafte Kanzleien, deren Sozien und Mitarbeiter wie M. in feinsten Gewande herumstolzieren, leisten ? Es ist mein Stil, erwiderte S., scheinbar von dem Affront unbeeindruckt.

 

M. griff in sein Jackett, holte die Brieftasche heraus, entnahm dieser drei tausender, legte sie auf den Tisch und erklärte, dass es nicht sein Stil wäre. S. solle sich vernünftige Kleidung zulegen, wie sie in diesen Kreisen üblicherweise getragen würde. Der Betrag wäre ein Vorschuss und die Restzahlung erfolge bei erfolgreichem Abschluss. Ein Erfolgshonorar, fragte S. Ja, denn unabhängig von der Frage der Rechtsgültigkeit einer solchen Vereinbarung, könne S. ohnehin bei einer Insolvenz nichts mehr erwarten.

 

§ 3. Nach drei Stunden verließ S. das Büro. Vor dem Gebäude atmete er tief durch und betrachtete den dicken Ordner, den er mitgenommen hatte. Das Mandat hatte er. Und eine Anzahlung, die allerdings für Kleidung gebraucht wurde (jedenfalls teilweise, es wird doch sicherlich auch etwas billigeres geben als Amani).

 

Als S. am frühen Nachmittag wieder in sein Büro kam, sah er völlig verändert aus. Er war bei Friseur gewesen (seit Jahren wieder ein professioneller Haarschnitt), hatte ein Hemd mit Manschettenknöpfen an, trug eine Fliege (die ist doch schöner als eine Krawatte), und einen dunkelblauen, eng geschnittenen Anzug. Und auch die schwarzen Schuhe waren neu.

 

Er setzte sich an seinen Schreibtisch, nachdem er zunächst mit einem Tuch seinen Stuhl und die Schreibtischplatte putzte. Dann vertiefte er sich in die Akte, Unterlagen, die M. ihm mitgegeben hatte.

 

Das Telefon läutete. S. meldete sich. Ob man S. sprechen könne. Ja, selbst am Apparat. Es stellte sich jemand mit H. von der D-Bank vor. M. habe ihn informiert, dass er sich von S. vertreten ließe. Man wolle schnellstmöglich ein Gespräch führen, damit der Vorgang seinen Abschluss finden könne. S. blätterte hörbar in seinem sich durch Leere auszeichnenden Terminkalender und erwiderte. Er könne noch am nächsten Tag um 16 Uhr einen Termin dazwischen flicken. Bei der Bank ? Wo sonst, dachte S. Wenn es so ist, 16.15 Uhr, erwiderte S.

 

§ 4. Um 16.20 Uhr betrat S. die Bank, bemüht, unpünktlich zu sein. Er wurde von einer Empfangsdame, die ihn offensichtlich bereits erwartete, in den 14. Stock mit dem Aufzug gefahren und direkt in das Büro des Vorstandes H. geführt. Hier befanden sich drei Herren, die sich mit H., B. und E. vorstellten. Man setzte sich nach der kurzen Begrüßung an einen langen Besprechungstisch, wobei es S. geschickt verstand, sich auf die Fensterseite zu setzen. Denn er hatte schon gehört, dass dies der bessere Platz bei Verhandlungen ist, da aufgrund der Lichteinstrahlung von hinten die Gesichtszüge für den Gegenüber nicht so deutlich sind, demgegenüber er deren Gesichtszüge genau beobachten konnte, wenn er sie sehen und verstehen würde.

 

Er würde M. vertreten, fing H. an. Er soll also sein Anliegen vortragen. Es ginge um die Kreditkündigung, die soll man zurücknehmen. H lachte, die zwei weiteren Vertreter der Bank schlossen sich wie aufgefordert an. Wieso ? Der Fa. M & Co. Investment, einer juristischen Person in Form einer GmbH mit einem Haftungskapital von nur € 25.000,00 wäre ein S. bekannter namhafter Kredit gewährt worden, der für eine längere Zeit tilgungsfrei gewesen wäre und nun in Raten zu tilgen war, wobei M. nichts getilgt hätte, weshalb die Kündigung gerechtfertigt sei. S. stimmte zu, dass das formal wohl, er müsse sich noch weiter in die erst kurzfristig übergebenen Unterlagen einarbeiten wozu er bisher aufgrund anderer Mandate noch nicht ausreichend Zeit gefunden habe (wie wäre es schön gewesen), richtig sei. Allerdinga habe die Bank doch nichts von der Kündigung, da dies die Insolvenz bedeuten würde. Die Erfindung wäre gesichert. S. hoffte, man würde nicht nach der Art der Sicherung fragen, denn er wusste sie nicht und fand dergleichen auch nicht in den überlassenenaUnterlagen. Es war ein Bluff. Er sah, wie sich die Gesichter seiner Gegenüber verfinsterten. Herr S., fing nun B. an, das wissen wir doch, deshalb fühlen wir uns doch betrogen. M. habe eine Erfindung finanzieren lassen, die er nicht durchführte und eine durchgeführte Erfindung stehe nach Recherchen der Bank einem Dritten zu. S. müsse klar sein, dass dies auch ein Fall für die Staatsanwaltschaft sei, unabhängig von der persönlichen Haftung des M. wegen Betruges. S. war über diese Gesprächsentwicklung verwirrt. Wenn dem so war, was wollte dann M. erreichen ? S. konterte, dass müsse ein Irrtum der Bank sein. Wem solle denn die Erfindung zustehen, und woher hat die Bank welche Informationen. E. schaltete sich ein. Die Informationen würde man aus für S. sicherlich einsichtigen Gründen nicht preisgeben. Die Erfindung solle C., einem Neffen des M., zustehen.

 

S. bemerkte den schwankenden Boden, auf dem er sich bewegte. Er brauchte Zeit, musste sich zunächst selbst informieren. Meine Herren, bemerkte er fast theatralisch, ich weiß nicht, welcher Fehlinformation Sie aufgesessen sind; nach meinen Unterlagen handelt es sich um die von Ihnen finanzierte Erfindung, die allerdings nach dem Urheberrecht nicht so einfach von Ihnen bei einer Kreditkündigung oder Insolvenz genutzt werden kann. Er würde gerne die Unterlagen zusammenstellen und Klarheit erzeugen, um so in einem offenen Gespräch eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden.

 

H. nickte. Bei der Kreditkündigung würde es jedenfalls derzeit verbleiben. Allerdings würde man eine Woche nichts unternehmen. Innerhalb dieser Zeit solle S. die Dokumente besorgen und dann wäre man vom Grundsatz verhandlungsbereit.

 

Es wurde ein Termin für den kommenden Donnerstag, exakt eine Woche später, vereinbart.

 

§ 5. Verwirrt verließ S. die Bank. Er fuhr mit der U-Bahn direkt zu seinem Mandanten, wie mit diesem besprochen. Zur Überraschung von S. war dieser über den Inhalt des Gesprächs nicht überrascht. Kleider machen Leute, kommentierte er. Und: S. solle sich etwas überlegen. Wenn er einen Plan habe, solle er sich melden. Man würde ihn durchsprechen, ob er möglich ist.

 

An diesem Abend ging S., seiner Gewohnheit zuwider, nicht in die Kneipe. Er saß im Büro, die Beine auf dem Schreibtisch. Stimmt also alles, was ihm in der Bank gesagt wurde und soll er jetzt für M. ein Scheingeflecht erstellen, um die Bank weiter zu täuschen ? Und weiter: Was macht die Bank, wenn sie tatsächlich die Erfindung als zugänglich ansieht und diese auch im Insolvenzverfahren greifbar und verwertbar wäre ? Wenn also die Bank nicht Recht haben sollte, die Erfindung nach wie vor zugänglich ist, dann wäre ein Scheingeflecht evtl. für M. geeignet, sie doch noch dem Zugriff der Bank zu entreißen. Wer lügt ? Oder lügen beide ?

 

Er musste an C. kommen, der von der Bank als Erfinder benannt ist. C. als Neffe des M. würde von diesem Gespräch aber sicherlich M. berichten. Aber M. hatte ihm nicht verboten, mit C. zu sprechen. Und wenn er einen Plan ausarbeiten soll, ist doch C. eine wichtige Figur im Hinblick auf angeblich der Bank vorliegende Informationen. Dann aber müsste der Plan auch mit C. abgestimmt sein oder ersichtlich sein, dass C. mitwirken könnte. Damit könnte er jedenfalls gegenüber M. die Kontaktaufnahme zu C. rechtfertigen.

 

Es gab C. zweimal im Telefonbuch. S. wählte die erste Nummer. Ein C. meldete sich. Sind Sie der Neffe von M. ? Welcher M. ? Ach Entschuldigung, ich habe mich verwählt.

 

Zweiter Versuch. Es meldete sich jemand mit dem bekannten und doch so anonymen Ja. Ich suche einen gewissen C. Moment. Der Hörer wurde hingelegt. Nach einiger Zeit kam wieder ein Ja. Sind Sie C. ? Ja. Der Neffe von M. ? Und wenn ? Dann habe ich mit Ihnen wegen einer Erfindung zu sprechen. Auf der Gegenseite blieb es ruhig. Hallo ? Ja, wann ? Heute noch ? So spät ? Ja.

 

S. fuhr mit dem Taxi in eine Villengegend der Stadt. Hier war er zuvor noch nie. Weshalb auch ? Mit solchen Leuten hatte er nichts zu tun. Sie schwammen in Geld (oder doch nicht ?). Das Taxis blieb an einem großen Grundstück mit einem gusseisernen Einfahrtstor stehen. S. zahlte, er hatte immerhin noch Geld aus dem Vorschuss und konnte sich daher diese Fahrt leisten, und stieg aus. Neben dem Tor war eine Klingel, darüber eine Kamera. Er schellte. Ohne dass sich jemand meldete, öffnete sich das schwere Tor und S. ging hinein und zu dem 30m entfernt liegenden Haus über die breite Zufahrt. Eine Frau, in typischer Zimmermädchenuniform öffnete und führte S., nachdem er seinen Namen nannte, durch eine große, in der Höhe über zwei Stockwerke ragende Eingangshalle in einen Raum, den man als Bibliothek bezeichnen konnte.

 

S. schaute sich um. An den Wänden waren Regale, gefüllt mit Büchern. An einer Seite war ein Kamin. Er war aus. S. ging hin. Vom Aussehen her dürfte dieser Kamin so gut wie nicht genutzt werden. Im Raum selbst befand sich ein kleiner runder Tisch mit drei Sesseln mit rötlichen Leder, passend zur Einrichtung. S. setzte sich hin.

 

Nach einiger Zeit ging die Tür auf. Ein jüngerer Mann trat ein. Ich bin C., ich nehme an Sie sind S., der Rechtsanwalt meines Onkels. Er habe mit diesem bereits telefoniert. Seine Onkel wisse nicht, weshalb der Besuch käme. S. räusperte sich. C. hatte sich auch an den Tisch gesetzt. Er zog aus seinem Jackett ein Etui mit Zigarren   - es stört Sie doch nicht - holte eine heraus, schnitt sie mit dem Cutter an und entzündete sie mit einem Streichholz. Sie auch ? S. lächelte, lehnte dankend ab, holte aus seinem Jackett eine Zigarettenschachtel, zeigte sie kurz lächelnd C. holte eine Zigarette heraus, entzündete sie mit einem alten Benzinfeuerzeug und lehnte sich zurück. Schöner Raum, sagte er. Ja, ganz schön, meinte C., nur hat wohl noch nie jemand hier im Haus eines der Bücher gelesen; ich kaufe sie auf Flohmärkten und in Antiquariaten, wenn sie einigen Wert zu haben scheinen, aber lesen tue ich nicht gerne.

 

S. musterte seinen Gegenüber. Nicht ganz 30 Jahre, sportlich mit einem Seidenanzug gekleidet, Hemd offen, Haare locker. Richtiger Playboy, dachte S.

 

Sie sollen eine Erfindung haben, die von M. bzw. seiner Gesellschaft finanziert wurde, fiel S. direkt mit der sprichwörtlichen Tür ins Haus. C. lachte laut. Gerne, sagte er. Dann stand er auf und fragte, ob S. einen Whisky wolle. S. bejahte, obwohl ihm ein Bier und ein Schnaps lieber gewesen wären. C. ging zur Bücherwand, nahm ein Buch heraus, drückte dort auf einen Knopf, die Wand öffnete sich und eine Vitrine mit Getränken und Gläsern wurde sichtbar. Mit Eis ? Nein danke. C. nahm ein Glas, hielt es unter einen Behälter, ließ Eiswürfel einfüllen, nahm ein zweites Glas, die Flasche, verschloss die Schrankwand und kam zurück zum Tisch, schenkte die Gläser ein.

 

Die D-Bank meint, ich sei Erfinder. Von solchen Sachen habe ich keine Ahnung. Da Sie der Anwalt meines Onkels sind, darf ich Sie wohl etwas weiter unterrichten, Sie unterliegen ja der Verschwiegenheit. Ich glaube schon, dass mein Onkel die Bank etwas ausgenutzt hat, da ich auch nicht meine, dass die Erfindung jene ist, für die der Kredit gewährt wurde.

 

C. hob das Glas und stieß mit S. an. Beide tranken einen Schluck, der eine, C., einen großen, der andere, S. einen kleinen.

 

C. berichtete nun, immer weiter dem Whisky zusprechend, dass sein Onkel tatsächlich eine Erfindung angedacht habe. Diese sei aber nach der Ausdrucksweise seines Neffen Nonsens gewesen. Er habe dann aber darauf einen Kredit bekommen. Nach der grundsätzlichen Kreditzusage habe er die Gesellschaft gegründet und mit dieser den Kredit aufgenommen. Zu dieser Zeit habe er aber zu einem gewissen J. Kontakt gehabt, einem Physiker, den er bei einem Flug zufällig kennengelernt habe. Dieser J. habe seinem Onkel von einem geplanten Versuch erzählt. Sein Onkel wäre dann zu J. gegangen und habe mit diesem Verträge gemacht, bei denen er, C. wohl Berechtigter wäre. J. habe wohl dann eine Erfindung gemacht. Diese wäre unter seinem, C. Namen, registriert worden.

 

C. hatte seine Geschichte sehr ausschweifend erzählt, auch die Flugangst seines Onkels erwähnt, einen durch Sturm unruhigen Flug und sich über die dabei ihm vom Onkel berichtete Angst belustigt und mehr. Und stets hatte er dabei von dem Whisky genossen, so dass am Schluss die Flasche auf Bodenneige war, wobei S. nur an seinem ohnehin nur mit einem Zentimeter gefüllten Glas genippt hatte. C. war ersichtlich betrunken, S. hell wach.

 

Und weshalb zahlt Ihr Onkel den Kredit nicht zurück ?

 

C. zuckte die Schultern. Vielleicht will er das Geld sparen ?

 

S. wies darauf hin, dass M. auch persönlich haften könnte. C. zuckte wieder die Schultern. Er war offenkundig nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Gespräch erstarb. S. erhob sich und ging in die Empfangshalle. Er rief Hallo. Das Dienstmädchen erschein. S. wies sie auf C. in Der Bibliothek hin. Sie sah hin und bemerkte nur kurz, wenn er etwas geschlafen hätte, würde er selbst ins Bett finden. S. könne ruhig gehen. S. ging.

 

Bei Annäherung an das Tor öffnete sich dies automatisch und schloss sich wieder hinter ihm. Auf der Straße atmete er tief durch. Taxi ? Nein, das Geld kann man sparen. Er ist doch kein Playboy. Mit raschen Schritt ging er Richtung Innenstadt. J. ist also der Erfinder. Was für eine Erfindung ? Und warum dieses Karussell um eine Erfindung ? Um weiterzukommen müsste er sich an J. wenden.

 

Aber kommt er damit noch dem Mandanteninteresse nach ? Dieser hat doch wohl bewusst J. nicht genannt. Kann er gegenüber M. mit der gleichen Argumentation einen Besuch bei J. rechtfertigen, wie er sich dies für C. zurecht gelegt hatte ? Wohl nicht, aber er wollte es wissen. Er wollte wissen, in was er hineingezogen wird. Und vielleicht würde dies dann auch sein Salär bereits jetzt erhöhen können, bar ausgezahlt. Bei diesem Gedanken schauderte es S. etwas. Er entdeckte etwas Neues an sich selbst. Meinte er dies im Ernst. Ja, redete er sich ein.

 

In eine der wenigen noch vorhandenen Telefonzellen ging er, um nach J. zu suchen. Die Telefonbücher waren entfernt. Vandalismus, dachte S., jeder kann doch eines ohne weiteres kostenlos bekommen. Er ging weiter. Als er bei einer der neumodischen lediglich überdachten Telefone auch kein Buch vorfand, entschloss er sich dazu, die Auskunft anzurufen; der Vorschuss gibt auch das noch her, nachdem die Rückfahrt ohne Taxi per Pedes vorgenommen wird; glücklich die, die sich ein Handy leisten. Er fragte nach J. Ja, J. gibt es einige Male in der Stadt. Jede Angabe einer Nummer kostet Geld. Verdammt, dachte S., und wenn er gar nicht von hier ist ? Ich habe vergessen zu fragen, von wo J. ist. S. lässt sich die Straßennamen sagen und wählt eine Straße in einer ihm bekannten, innerstädtischen Wohngegend, die auch dem sogenannten Mittelstand, zu dem er sich selbst zählt, zuzurechnen wäre. Er verneint die Frage, ob man ihn weiter verbinden soll, da er diesen Service bereits in der Vergangenheit als kostspielig kennengelernt hatte. Statt dessen bemüht er seine eigenen Finger, die Verbindung aufzubauen. Nach einiger Zeit meldet sich jemand, etwas verschlafen. S. fragt, ob es sich um den Physiker J. handele. Dies wurde kurz bejaht, aber was solle diese Frage nach Mitternacht. S. erschrak über die Zeit, die er tatsächlich völlig ignoriert hatte, so sehr war er in Gedanken versunken gewesen. Er entschuldigte sich, gab an, es wäre wichtig, es gehe um die Erfindung für M. Der Gegenüber schien schlagartig aufgewacht zu sein.

 

Was wollen Sie ?

 

Mit Ihnen kurzfristig reden, da es auch für Sie wichtig ist.

 

§ 6. Es war gegen 3 Uhr als S. vor dem wohl aus den 60er Jahren stammenden Wohngebäude anlangte. Er klingelte bei J., der sofort die Haustür aufmachte. S. ging die Steintreppe zum 2. Stock hoch, einen Aufzug gab es nicht. Jetzt merkte er doch, dass der Tag beschwerlich war; weshalb tat er das alles ?

 

Die Wohnungstür wurde geöffnet. Ein Mann und eine Frau standen in der Wohnung, beide etwas 40 Jahre (oder etwas älter). Sie schauten S. fragend an. Dieser bat um ein Glas Wasser, der Tag wäre hart gewesen. Man führte ihn in ein Wohnzimmer, einen gegenüber den ihm in der letzten Zeit bekannt gewordenen Räumen kleinen Raum, in dem die Möbel eng aufeinander standen. Jetzt fühlte er sich an sein Büro erinnert und fühlte sich gleichzeitig in seinem Anzug deplatziert. Dabei fiel ihm auf, dass er nicht einmal merklich gefroren hatte, obwohl es kalt war. Der Fall musste ihn voll gepackt haben.

 

Frau J. brachte ihm ein Glas Wasser. Er trank es auf einen Zug leer und bedankte sich. Dann sah er seine ihm auf Sesseln gegenübersitzende Gastgeber, er saß alleine auf der Couch, aufmerksam an, die neugierig ihre Blicke auf ihn richteten. Das sind die ersten ehrliche Leute, die ich in dieser Sache sehe, dachte er für sich.

 

Ich weiß nicht genau, wie ich beginnen soll, begann er. Ich wurde von M. engagiert, was aber hier jetzt bedeutungslos ist. Die Sache hat für mich derart viele Fragezeichen, dass ich, nachdem ich zufällig von Ihnen - er deutet auf J. - erfahren habe, hoffe, hier auch für mich Klarheit zu gewinnen.

 

J. runzelte seine Stirn. Ansonsten erfolgte keine Reaktion.

 

Es gibt irgendeine Erfindung, die von Herrn J. stammt, fuhr S. scheinbar unbeeindruckt durch die fehlende Reaktion fort. Diesbezüglich müssen mir nicht bekannte Verträge zwischen ihm und M. bestehen. Wenn ich über die Erfindung und die Verträge weitere Informationen hätte, könnte ich weiter tätig werden. Wie nebulös, dachte S., ich bin gut im verschleiern.

 

Mit der bisher gezeigten Ruhe von J. war es vorbei. Er schrie. Er schrie dermaßen, dass S. um sein Leben Angst bekam und dachte, im nächsten Augenblick würde sich J. auf ihn werfen und erwürgen oder ähnliches.

 

Frau J. drängte ihren Mann um der Kinder Willen leise zu sein. Dies wurde er auch. Er forderte S. auf, sofort die Wohnung zu verlassen. S. war jetzt hellwach. Hier war offenbar die Lösung des Rätsels. Aber welches Rätsel ? Gut, M. hatte wohl J. ausgebootet, indem die Erfindung auf den unbedarften Neffen C. lautet. Was aber ist mit dem Kredit ? Was erhofft sich M. davon heute noch ?

 

S. ging Hamlet durch den Kopf. To be or not to be ? Bleiben oder gehen ? Er blieb hartnäckig sitzen. Erzählen Sie, forderte er J. auf. Ich bin doch nicht gegen Sie, sonst wüsste ich doch alles.

 

J. beruhigte sich.

 

§ 7. Gerechtigkeit ? Kämpfe ich jetzt wirklich dafür, fragte sich S. Es war bereits zehn Uhr. S. stand auf und duschte sich. Er zog wieder seinen neuen Anzug an; glücklicherweise hatte er drei Hemden gekauft. Er wusste, an diesem Tag müsste auch er sich entscheiden, auf wessen Seite er steht.

 

S. lenkte seinen Weg zur D-Bank. Er wollte H. sprechen. Ob er einen Termin habe. Nein, aber er würde wohl erwartet. Er möge etwas warten. Nach etwa fünf Minuten wurde er aufgefordert zu folgen. Er wurde wieder in einen Konferenzraum geführt. H. war schon da, saß mit dem Rücken zum Fenster, durch welches einstrahelende Sonne S. blendete. Er konnte die Gesichtszüge von H nicht erkennen. Ohne ein Wort zu sagen, deutete H. mit der rechten Hand auf die ihm gegenüberliegenden Stühle. Er will also nicht, dass ich ihn ins Gesicht sehen kann. Dass missfiel S. Er hätte zwar dem folgen können und bitten können, dass die Sonnenjalousie geschlossen werden. Aber wieso. Die Wink von S. ignorierend ging S. nach rechts zum Tischende und setzte sich dort, außerhalb der Sonneneinstrahlung. H. musste sich nun zu ihm seitlich drehen und S. konnte seine Gesichtszüge - zusammengekniffene Augen,, gerunzelte Stirnfalten - erkennen. War H. nervös oder wollte er ihn düpieren ? 

 

Ohne ein Wort zu sagen, setzte sich S. Er streckte die Beine gerade nach vorne aus, wodurch sein Gesäß weiter nach vorne auf dem Stuhl rutschte und sein Oberkörper mehr in Schräglage auf dem Stuhl zwischen Sitzteil und oberen Bereich der hinteren Lehne hing. Er hatte sich -wie seine Mutter immer kritisierend gesagt hatte - "hingelümmelt". Seine Hände hatte er auf den Tisch gelegt. Fast lautlos trommelte er mit den Fingern der linken Hand auf den Konferenztisch, indem er zunächst den den linken Finger hob und dann auf den Tisch wider aufsetzte, dann den daneben befindlichen Finger bis hin zum Daumen, um sodann wieder von vorne anzufangen.

 

Waren Minuten oder Stunden vergangen ? Sie wollten zu mir. S. nahm das Gespräch auf; seien Stimme klang gereizt. Ich wollte von Ihnen was hören. Und was ? Ich will nur von Ihnen wissen, dass der Kredit - mit Zinsen - zurückgezahlt wird.

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Er würde wieder pokern müssen, darüber war sich S. im Klaren. Hatte er das richtige Pokerface ? Jedenfalls musste er ruhig bleiben. Aber führte er nicht meist die Prozesse ohne richtige Kenntnis vom Prozessstoff und versuchte er nichts stets mit verwaschenen Formulierungen und Phrasen einen Prozess zu seinen Gunsten (nein, richtigerweise zu Gunsten seiner Mandanten) zu beeinflussen ? Zugegeben, nicht immer erfolgreich, oder präziser ausgedrückt: Meist wenig glückreich.

 

Sie wissen, dass Sie keinen Anspruch auf eine Kreditrückzahlung haben. Der Satz, so dachte S., war eine Meisterleistung. Er ließ alle Interpretationen zu, weshalb ein Anspruch nicht bestehen  würde, ohne dass sich S. in irgendeiner Art hätte festlegen müssen. Und der Schlag schien gelungen. H. sagte zunächst nichts. Seine Augen hatte sich nur geweitet. Dann aber - es brach geradezu aus H. heraus. Er  lachte. Er lachte lauthals und schien dabei sogar billigend die Gefahr eines Erstickungstodes hinzunehmen. Wild lachend und nach Luft schnappend sprang er auf, wobei er seinen Stuhl umkippte. 

 

Immer noch lautend lachend griff er zum Telefonhörer und wählte eine Nummer. Es musste eine bürointerne Nummer sein, da sie nur aus drei Ziffern bestand. Seinen Gegenüber forderte er auf zu kommen, er  müssen sich das unbedingt anhören. Kurz darauf - H . lachte immer noch - traten B. und E. ein.  Sie sahen H. und S. verwundert an und S. erzählte ihnen den eben von S. mitgeteilte Witz, wie er es nannte. 

 

Während E lächelte (ob mitleidig oder nur aus Sympathie für H. konnte S. nicht erkennen), drehte sich B mit ernsten Gesicht zu S. um. Sie wollen Rechtsanwalt sein ? Sie kennen den Vertrag. Es reicht mir. Ich denke, wir sollte noch heute die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um das Insolvenzverfahren eröffnet zu bekommen. Seine Worte waren deutlich. Sie trafen S. wie der Schlag mit einer Peitsche. Er konnte nur mit Mühe ein erschrockenes Zucken unterdrücken. Gerade dies hatte er nach dem Auftrag verhindern sollen. Statt es zu verhindern soll er die Situation noch beschleunigt herbeigeführt haben ?

 

Zum Pokern gehört, alles auf eine Karte zu setzen und verlieren zu können. Hier hatte er wohl völlig verfehlte Vorstellungen zu dem Hintergrund des Kredites, weshalb es zu dem maßlosen Gelächter des H. kam. Das Gespräch weiterzuführen - was heißt weiterführen ? - schien S. in dieser Situation nicht möglich. So stand er langsam auf und ging, auch langsam,  zur Tür, die noch durch das Eintreten von B. und E. offen stand. Als er in  Höhe von B. und E. war, blickte er E. offen in die Augen, eindringlich (wie er hoffte). Meinen Sie, dass alleine das Stück Papier tatsächlich hier einen Anspruch aus Darlehen begründen kann ? 

 

Er wandte sich um und ging nun schnellen Schrittes hinaus. Er ging zum Fahrstuhl und fuhr ins Erdgeschoss - nur schnell aus diesem Gebäude raus. Draußen atmete er tief ein. Er schaut am Gebäude hoch. Wurde er von dort beobachtet ? Sein Mund verzog sich zu einem grinsen, während der aus seiner Hosentausche seine Zigarettenpackung und das Feuerzeug fingerte, sich eine Zigarette in den Mund steckte, ansteckte und einen kräftigen Zug nahm. Das grenzt an Verfolgungswahn; mit diesem Gedanken wollte er die selbst gestellte Frage nach einer Beobachtung wegschieben und gehen. Kaum hatte er ein oder zwei Schritte getan, blieb er abrupt stehen. Er ließ die angerauchte Zigarette fallen, trat sie mit dem rechten Schuh platt, schaute sie sich nach der Aktion an und schaute noch einmal am Gebäude hoch.  Warum hatte H. so überschäumend gelacht, und warum E. so scharf reagiert ? Und: Müsste er nicht jetzt zu M. gehen und ihm berichten, erklären, dass das was verhindert werden sollte, nun bald erfolgen wird ? Und warum erhielt er von M. nur spärliche Informationen ? Wenn es nun schnell dem Insolvenzantrag kommen würde, war es die Schuld von M., der ihn nicht richtig und umfassend informiert hatte, wenn nicht sogar belogen hatte.

 

§ 8. Er ging zum Taxistand und wollte sich in sein Domizil (wie er sein Büro gerne nannte) fahren  lassen. Am Taxistand angekommen, überlegte er es sich anders. Die Kosten konnte er sich sparen, auch die Kosten der Öffentlichen. Ein Spaziergang würde auch gut tun - und so dazu beitragen, etwas mehr für nunmehr wieder anbrechende magere Saison vom Vorschuss aufzubewahren. Es sind ja nur etwa fünfzig Minuten.

 

Neuerlich zündete er sich eine Zigarette an. An einem Kiosk kaufte er sich neue Zigaretten und eines Tageszeitung - wenn er heute Abend nicht einschlafen könnte, könnte er sich zumindest einmal wieder über das aktuelle Geschehen kundig machen, oder zumindest über das, was die Schreiberlinge aktuell und wissenswert ansehen. S. hielt nichts vom Journalismus. Für ihn war das Effekthascherei, aufreißerische Werbung nicht für ein Waschmittel, sondern für eine Meinung oder den Kaufwert der Zeitung als solche. Wen interessierte es schon, ob der König von irgendeinem Land bei Bundespräsidenten zu Besuch war, wofür oder wogegen eine UN stimmte, die ohnehin  nichts zu sagen hatte, welche Ansichten verschiedene Politiker vertraten, wurde doch die Politik von der Regierung diktiert und war man dieser mehr oder minder machtlos ausgeliefert, deren Mitglieder ohnehin nach ihrer Wahl offensichtlich in eine Art Dement verfielen, schienen sich sie nicht mehr an ihre Zusagen und Versprechen vor den Wahlen erinnern zu wollen. 

 

Er kam an seiner Kneipe vorbei. Es war noch Mittagszeit. S. trank nicht viel, aber auch nicht wenig; er trank eben, wenn er trinken wollte. Und jetzt wollte er. Dass würde ihm den Kopf frei machen. Außer der Wirtin hinter dem Thresen war noch niemand da. Die Wirtin sortierte die gerade gespülten Gläser ein. In den Augenwinkeln sah sie S., stellte ihre aufopfernde Tätigkeit im  Interesse der Gläser ein, zapfte ein Pilz, goss einen Schnaps in ein dazugehöriges, mithin nur etwas größer als ein Fingerhut großes Glas und baute mit den Worten, Na, so früh heute, beides vor S. auf, der wortreich darauf mit Ja antwortete. Er nahm das Pilsglas hoch, schaute gedankenlos hinein und stellte es wieder hin. Dann hob er wieder beide Gläser zeitgleich und leerte das Schnapsglas mit einem kräftigen Schluck Pils aus. Kaum hatte er die Gläser zurückgestellt, wurden sie von der Wirtin von der Theke genommen und, nachdem sie ein gefülltes Gals Pils an deren Stelle hinterließ, ihrer begierigen Säuberungsaktion einverleibt. 

 

S.´s Blick glitt auf die von ihm gekaufte Tageszeitung, die er links von sich auf der Theke abgelegt hatte. Er überlegte angestrengt. Sollte er sie jetzt schon etwas durchblättern, oder doch auf den Abend warten und auf den Fall, dass er nicht würde einschlafen können. Das Warten aber würde auch bedeuten können, dass er die Zeitung zwar gekauft hätte, nicht aber lesen würde, wenn er doch einschlafen könnte. Dann wäre es eine nutzlose Investition - es sei denn, er würde sie wie einen Historienroman behandeln und auch noch Tage später, bei der entsprechenden passenden  Situation des Nicht-Einschlafens-Könnens, lesen. Die Vernunft siegte und entschlossen griff S. die Zeitung.

 

Nach kurzer Zeit, S. hatte nur die Überschriften gelesen, schaute S. auf das Datum der Zeitung. Es kam  ihm vor, als hätte er die Zeitung, die er zuletzt (so vor etwa einem Jahr) gelesen hatte. Gelengweilt blätterte er weiter. Über den Wirtschaftsteil wollte er hinwegblättern (es reichte doch wohl, dass er in einer solchen war), als er beim Umblättern noch das Wort D-Bank sah. Er blätterte zurück und las den Artikel. Die D-Bank wurde im Zusammenhang mit Geldwäsche genannt. Sie soll ein Umschlagplatz gewesen sein. Der Vorstand, H., habe erklärt, dass die Bank die Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung konstruktiv unterstützen würde. 

 

S. musste lächeln. Diese D-Bank,  tut vornehm und ist überheblich, wie dieser Vorstand H. Aber sie ist die Plattform für Geldwäsche. Vergnügt über diese Erkenntnis trank er sein Bier aus, zahlte und ging. Bei seinem Büro angekommen leerte er den Briefkasten und schaute sie, während er in sein Büro ging, durch. Rechnungen. Er atmete tief durch. Im Büro hörte er seinen Anrufbeantworter an. Es war ein Anruf von M. Er möge mitteilen, wie weit er gekommen sei. Ob er die D-Bank davon hätte abhalten können, den Insolvenzantrag  zu stellen. Wenn nicht, möge er dies mitteilen, dann müsste er andere Schritte gegen die Bank und deren Vorstand einleiten. Dann lachte M. 

 

S. rief M. an. Er teilte M .mit, dass sich H. auf nichts einlassen würde.  Er wüsste derzeit nicht, welche rechtlichen Erwägungen er gegen das Darlehen ein wenden könnte. M. müsste schon mitteilen, in welchem Zusammenhang das Darlehen gewährt worden sei. M. schwieg zunächst nur auf die Frage, um dann kurz entschlossen zu erklären, es ginge ihn nichts an. Sein Auftrag sei erledigt. Und das Honorar ? Er habe einen großzügigen Vorschuss bekommen; der sei ausreichend. Der Telefonhörer wurde aufgelegt. 

 

S. schaute den Hörer an. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und legte seine Füße auf denselben. Dann holte er seine Zigaretten aus der Hosentasche, eine aus er Packung und zündete sie an. Langsam blies er Ringe in den Raum. Er musste analysieren. Der Sachverhalt müsste klargestellt werden. Und dazu gehört die Frage: Um was geht es überhaupt. Ein Darlehen - für was auch immer -  wurde nicht zurückgezahlt. Die Bank ist eine Basis für Geldwäsche gewesen. Hängt dies zusammen ?

 

 

 

 

 

- Fortsetzung folgt -