Nach der Nacht ist es für immer hell


„Ich habe Angst, es ist so dunkel.“

 

Die Kinderstimme ist deutlich, leise. Sie durchdringt aber den Raum. Noch scheinen die letzten Sonnenstrahlen hinein, endend direkt vor dem Bett des kleinen Jungen. Er liegt in seinem Bett auf dem Rücken, die Augen weit geöffnet.

Der Vater streicht sanft mit seiner Hand über seine Stirn. Es ist erst sechs Monate her, als sie die sachlich-nüchterne Nachricht einer nicht heilbaren Erkrankung erhielten. Sie haben ihn nach Hause geholt, ein kleines Reihenhaus am Rande der Stadt. Dort hatte er die Lage genutzt, um mit dem Hund auf der angrenzenden Wiese zu toben, hatte seine kurze Kindheit verbracht.

 

Leise winselte der Hund und legte seine Pfote auf das Bett, direkt in die offene Hand des Jungen. 

 

„Es wird auch wieder hell werden.“

„Woher willst Du das wissen ?“

„Auf den Tag folgt die Nacht, und auf die Nacht der Tag. Und am Tag ist es hell.“

„Scheint jetzt die Sonne ?“

„Ja, aber sie geht unter. Bald ist es überall dunkel.“

„Ja, aber dann werden Lichter angemacht und alle können sehen. Ich nicht. Und mir ist kalt.“

 

Die Mutter nahm von einem Stuhl eine weitere Decke und legte sie über den Jungen. Am Morgen hatte der Arzt ihnen erklärt, dass wohl innerhalb der nächsten Stunden das Herz versagen würde. Sie verbrachten schon den ganzen Tag bei dem Jungen. Der bewegte schwach seine Hand, als wolle er die Pfote des Hundes drücken.

Wieder kehrt Ruhe im Raum ein. Nur manchmal unterbrochen vom leisen winseln des Hundes. 

 

Plötzlich wurde der Junge unruhig. 

 

„Ich möchte aber wieder sehen. Ich will leben.“

Die Mutter wandte sich ab. Sie musste ihre Tränen und ein  Schluchzen unterdrücken. Mühsam seine eigenen Gefühle unterdrückend antwortete der Vater.

„Du wirst leben-„

„Hier, mit euch ?“

„Nein, nicht hier, und einstweilen auch nicht mit uns. In einer anderen Welt, in der es kein Leid gibt.“

„Und ihr ?“

„Wir werden nachkommen und du wirst uns dann alles zeigen.“

 

Trotz der vielen Decken war zu erkennen, dass der Junge fröstelte. Sein Atem ging schwer. 

 

„Werde ich dann auch sehen ?“

„Ja, mein Junge, nach der Nacht ist es für immer hell.“

 

Um dem Mund des Jungen zeigte sich ein Lächeln. Dann ein letztes röcheln. Der Hund legte seine zweite Pfote auf die Hand und darauf seinen Kopf.  Die Sonne war untergegangen, draussen war es dunkel.