Die Suche des Rechts

 

 

Die Robe und die Akte unter dem Arm. Eilender Schritt. Schnell ins Gebäude, in den Gerichtssaal. Nichts ist schlimmer (wirklich nichts ?) als sich zu verspäten. Dabei ist dies nicht unbedingt Absicht. Zugegeben, es gibt sie, die ewigen Zuspätkommer, diejenigen, die das akademische Viertel stets nutzen und (man kann die Uhr danach stellen) 15 Minuten nach Verhandlungsbeginn eintreffen. Wie weise handhabte es doch einige Jahre das AG Michelstadt, hatte dieses doch weise in den Terminladungen notiert, dass derjenige, der meint, man müsse 15 Minuten warten, sich als 15 Minuten vor der angegebenen Zeit geladen fühlen soll. Aber mitunter geht es eben nicht, pünktlich zu sein. Man kann noch so zeitig aufbrechen: Da kommt eine Umleitung, ein Stau oder gar eine Vollsperrung, in deren Auswirkung man auf eine glückliche Öffnung nach vorne hofft.

 

Ärgerlich wird es häufig, wenn man mehrere Termine hintereinander, gar an unterschiedlichen Gerichtsorten zu bewältigen hat. Eine Terminlänge einzuplanen, setzt bereits einige Erfahrungen voraus, auch Erfahrungen mit der möglichen Ausführlichkeit von Erörterungen an den verschiedenen Gerichten. Wirklich: Unterschiede bei der Intensität der Erörterung. Das hat nichts damit zu tun, dass eventuell einige Richter nicht in den Prozessstoff eingearbeitet wären, und die anwaltliche Aufklärung des Richters über den Akteninhalt Zeit verschlucken würde; es hat eher etwas mit unterschiedlichen Ansichten von Gerichtsort zu Gerichtsort über das Wort „Verhandeln“ nach der Zivilprozessordnung zu tun. Kennt man aber diese Nuancen, lässt sich die Dauer eines Termins gut einschätzen, jedenfalls dann, wenn es sich nicht um eine Beweisaufnahme handelt. Gut, auch Beweisaufnahmen lassen sich der in ihrer zeitlichen Ausdehnung meist vorhersagen  -  nur dann nicht, wenn man den Richter nicht kennt und dieser nun besonderes langsam diktiert. Und dann nicht, wenn ein Zeuge sehr detailliert befragt wird (was selten von Richterseite erfolgt, die eher verärgert wirkt, wenn Anwälte so auch im Hinblick auf die Prüfung der Glaubwürdigkeit, aber auch der Glaubhaftigkeit befragen). Unangenehm wird es, wenn der vorangegangene Termin überzogen wird, die Zeit zwischen dem selbst wahrzunehmenden Termin und einem nächsten Termin (gar an einem anderen Gerichtsort) immer kürzer wird. Es kommt Unruhe und schließlich Unwille auf. Beginnt dann ein solcher Termin mit dem üblichen Versuch des Richters eine gütliche Einigung herbeizuführen, ist schnell Gereiztheit in einem selbst zu spüren. Der Vergleichsversuch wird, sehr zum Ärgernis dieses Richters, kurzerhand mit einem klaren „Nein“ zu jeglichen Vergleich zunichte gemacht. Die anschließende Verhandlung wird beinahe zur Farce, da der Zeitdruck einem nicht erlaubt, hier den Umständen entsprechend vorzutragen. Dies alles, da häufig Richter kein ordentliches Zeitmaß für ihre konkreten Verhandlungen einplanen, sondern strikt nach einem Schema in einem bestimmten Zeitintervall terminieren. Und diese Richter kennen auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wie lange ein Anwalt bis zum Aufruf seiner Sache warten muss.

 

Überhaupt: Die Vergleichsbemühungen des Richters. Gestärkt wurde dies prozessrechtlich durch den Gesetzgeber, der die sogenannte Güteverhandlung bei allen Zivilsachen vorsieht, soweit sie nicht von vornherein hoffnungslos erscheint. Viele Richter unterstellen schlicht die Hoffnungslosigkeit und treten gleich in eine streitige Verhandlung ein. Aber auch hier werden dann (noch) Vergleiche geschlossen, da nach der gesetzgeberischen Intention der Richter in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtstreits bedacht sein soll. Häufig drängt sich einem der Eindruck auf, der Einigungsversuch des Richters dient lediglich der eigenen Erleichterung, weniger einem gerechten Ausgleich in angemessener Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Zeigt sich eine Partei einem Vergleich oder Vergleichsvorschlag des Richters abgeneigt, die andere zugeneigt, wird die eher den Versuch ablehnende Partei verstärkt auf ihr angebliches besonderes Prozessrisiko hingewiesen. Natürlich, mit vielen Vergleichen steigt die Erledigtzahl de Richters und sinkt auch gleichzeitig die Gefahr, dass seine Entscheidung in der Sache vom Rechtsmittelgericht aufgehoben wird. 

 

Nicht selten kursiert bei Vergleichsverhandlungen der Terminus von „türkischen Basar“. Wir der Vergleichsvorschlag von einer Partei akzeptiert, von der anderen aber als zu hoch oder zu gering angesehen, kommt vom Richter häufig ein neuer Vorschlag, mit dem sich der Richter auf die Vorstellung des Ablehnenden zubewegt. Und sei es dergestalt, dass eine Differenz zwischen Vorstellungen der einen und der anderen Partei schlicht in der Mitte gelöst werden soll. Ein menschlich verständliches Unterfangen, was aber mit Rechtsprechung wahrlich nichts mehr zu tun hat. Und was auch häufig (zu Recht) der anwesenden Partei nicht mehr erklärt werden kann, die sich wahrlich nicht in einen Gerichtssaal glaubt zu befinden, sondern in jenem Basar. 

 

Verhandlungen werden in Zivilsachen in der Regel durch Schriftsätze vorbereitet. Mehr als ärgerlich ist es dann, wenn kurz vor einem Termin oder gar in einem Termin noch ein (eventuell sogar umfassender) Schriftsatz übergeben wird. Jegliche Terminvorbereitung ist damit obsolet, da sich der dadurch Überraschte auf diesen neuen Vortrag (der meist nicht verspätet ist und von daher nach der Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsrecht nicht zurückgewiesen werden kann) nicht einlassen kann. Die Verhandlung unter solchen Umständen wird häufig zur Farce. 

 

Nach der gesetzlichen Intention sollen Prozesse zügig durchgeführt werden. Gleichwohl kommt es häufig vor, dass sich jene über Jahre hinziehen, nicht nur wegen derartiger Schriftsätze, die sehr spät eingereicht werden. Häufig hängt dies mit Terminierungen der Gerichte zusammen, auch damit, dass diese das Prozessrecht nicht oder nicht richtig anwenden. So kennt die Prozessordnung den „frühen ersten Termin“ und den Haupttermin. Wird nicht zugleich mit der Zustellung der Klage ein Termin bestimmt, wird ein schriftliches Vorverfahren eingeleitet. Dieses soll dann in dem Haupttermin münden, nach dessen Schluss möglichst eine Entscheidung verkündet wird. Dies setzt voraus, dass der Richter zu dem Haupttermin bereits die Zeugen lädt, soweit er eine Beweisaufnahme als erforderlich ansieht. Die Praxis ist häufig weit davon entfernt. Der Termin führt nur zu einer mehr oder weniger langen Erörterung, anderen Ende dann ein Beweisbeschluss ergeht, eventuell gar in einem gesonderten Verkündungstermin. Verzögerungen des Rechtsstreits, die nicht sein müssen, aber Standard sind. Es beschleicht einen immer wieder der Eindruck, dass entweder die Prozessordnung von Richtern nicht beherrscht wird oder diese sich eine eigene für ihren Gerichtssaal gebastelt haben. Ob diese Taktik dazu dienen soll, die Anwälte und Parteien zu einer Vergleichsbereitschaft weich zu machen, darf spekuliert werden. Dies insbesondere dann, wenn bei Beweisaufnahmen qua Zeugenvernehmungen für jeden Zeugen ein gesonderter Termin bestimmt wird, gar noch mit gehörigen Abständen. Der Anwalt bearbeitet regelmäßig, da er sich damit seinen Lebensunterhalt verdienen muss, viele Vorgänge, weshalb ihm notwendige Details in den Akten vor Terminen nicht stets erinnerlich sind, auf die es aber bei Beweisaufnahmen ankommen kann. Mithin muss diese Akte jeweils vor einem Termin neu durchgearbeitet werden, um die Vorgänge konkret in Erinnerung zu haben und Zeugen entsprechend befragen zu können.

  

Denn dem Gericht alleine die Befragung zu überlassen und davon auszugehen, das Gericht würde schon die Akte korrekt kennen, wäre sträflich. Nicht nur deshalb, da eventuell dem Zeugen Vorhaltungen gemacht werden können aus Schriftstücken, die der Richter noch nicht kennt. Seine fehlende Unfehlbarkeit fällt schon auf, wenn er die Zeugenaussagen protokolliert. Im Zivilprozess ist die Wortprotokollierung die Ausnahme; der Richter diktiert, was er aus der Aussage des Zeugen verstanden haben will. Immer wieder kommt es vor, dass die Aussage unmerklich in ein Gegenteil dessen verwandelt wird, was der Zeuge tatsächlich bekundet hat. Hier wird  - gar wenn dies im Laufe der Zeugenvernehmung häufiger erfolgt -  deutlich, dass sich dieser Richter schon längst eine eigene Ansicht zum Geschehensablauf geschaffen hat, den er nun versucht mittels seiner Protokollierung der vermeintlichen Aussage niederlegt. Es gilt für den Anwalt, auf der Hut zu sein, da auch Zeugen feine Veränderungen ihrer Angaben nicht stets feststellen und reklamieren. 

 

Aber nicht nur hier ist der Anwalt gefragt, muss er quasi sprungbereit sein. Auch im Hinblick auf die Rechtsanwendung muss er stets die gerichtlichen Vorgaben beobachten und eventuell korrigierend eingreifen. „Jura novit curia“ (Das Gericht kennt das Recht) war einmal;  der Bundesgerichtshof hat einen Anwalt auf Zahlung von Schadensersatz an seinen Mandanten wegen eines für diesen ungünstigen Urteils verurteilt, da der Anwalt es unterlassen hatte, das Gericht über die durch die obergerichtliche Rechtsprechung vorgegebene Rechtslage deutlich hinzuweisen. 

 

Kampfszenen im Recht. Kein klassischer Kampf mit körperlicher Gewalt. Aber ein intellektuelles ständiges Auseinandersetzen mit Tatsachen und Rechtsansichten. Auseinandersetzungen im Gerichtssaal über die richtige Protokollierung von Zeugenaussagen, über rechtliche Folgerungen und den Inhalt des Protokolls von mündlichen Verhandlungen.

„Recht haben und Recht bekommen sind zwei Paar Schuhe“, eine bekannte Redewendung. Sie ist nur zu wahr. Das ein Gericht Recht spricht und dies nicht der Gerechtigkeit entspringen muss, liegt auf der Hand. Ansonsten wäre das Gericht unfehlbar. Aber es kann schon deshalb nicht unfehlbar sein, da es selbst nicht, kommt es auf streitige tatsächliche Umstände an, nur gemäß der Prozessordnung entscheiden kann. Und diese kann für denjenigen, der tatsächlich Recht hat, ungünstig sein, wenn er seiner Beweislast nicht nachkommen kann. Aber nicht nur darin begründet ist die fehlende Unfehlbarkeit der Rechtsprechung. Häufig genug sind es subjektive Befindungen des oder der erkennenden Richter, die zu entscheiden haben, wie auch fehlerhafte Rechtsanwendungen. 

 

Aber das Leben ist nun einmal eine Einbahnstraße, und in dieser müssen wir uns alle vorwärtsbewegen. Das gerechte Recht werden wir nicht finden. Und viele streben es auch nicht an.