Recht und Unrecht

Anklage (Lisa Winter, lisa-winter-art.de)
Anklage (Lisa Winter, lisa-winter-art.de)


Immer wieder werde ich gefragt: „Wie kannst Du eine Sache vertreten, bei der Du davon ausgehst, dass der Gegner Recht hat ?“ Es ist die Frage zur Ehre, zur Moral o.ä.

 

Der Anwalt hat zu vertreten, und zwar die Interessen des eigenen Mandanten. Er hat nicht sich (seine Gefühle) und schon gar nicht die Interessen des Gegners zu vertreten. Meint er, hier aus moralischen oder sonstigen Gründen nicht vertreten zu können, muss er das Mandat niederlegen. Schwierig für einen Strafverteidiger, der noch bei einem offensichtlichen Mord etwas für seinen Mandanten herausbekommen soll. Eventuell auch Freispruch ? Er darf nicht falsch vortragen, aber die Nuancen der Prozessordnung nutzen.  Das wird häufig verkannt. Ein Dieb ist ein Dieb, wenn dies rechtskräftig festgestellt wird; fehlt es an dieser Feststellung, gilt nach den verfassungsgemäßen Grundsätzen die Unschuldsvermutung. Ihm muss also der Diebstahl nachgewiesen werden. Gelingt dies nicht, eventuell auf Grund des prozessualen Vermögens des Verteidigers, kann dieser als Dieb angeklagte Mandant sogar frei gesprochen werden müssen, auch wenn der Anwalt positiv weiß, es war ein Diebstahl.

 

Aber nicht nur in dem mir nicht sonderlich nahe liegendem Gebiet des Strafrechts ist Wahrheit und Unwahrheit häufig eng verknüpft. Auch im Zivilrecht hat der Anwalt die Verpflichtung zum wahrheitsgemäßen Vortrag. Er ist auf die Angaben des eigenen Mandanten, soweit dieser aus eigener Kenntnis etwas beitragen kann, angewiesen. Häufig (so bei Haftungsfällen) war der eigene Mandant nicht dabei gewesen, weiß allenfalls etwas vom Hörensagen. Dabei ist zu unterscheiden: Wer hat ihm was gesagt und kann dieses Wissen (z.B. von Mitarbeitern oder Familienangehörigen gegeben) zugerechnet werden. Allgemeines „Gemunkel“ ist unbeachtlich.

 

Aber wieder die Frage: Was ist, wenn man den Einlassungen der Gegenseite glaubt ?

 

Kommt es darauf an, was man persönlich als Gefühl hat ? Glauben und Wissen sind zwei Seiten. Dann kommt gleich die nächste Frage: Was ist, wenn die Gegenseite (der man an sich glaubt) nur aus formellen Gründen den Prozess nicht gewinnen kann ?  Das ist heikel. Jedenfalls für mich. Und es ist noch schlimmer.

 

Zum einen kann die Gegenseite einen Prozess alleine deshalb verlieren, da sie nicht den für eine Verurteilung des eigenen Mandanten erforderlich Beweis liefern kann. Aber zum anderen kommt es häufig vor, dass der Anwalt der Gegenseite schlicht in Unkenntnis prozessualer Grundsätze (oder gar des materiellen Rechts) nicht ausreichend vorträgt oder Beweis für seine Behauptungen anbietet.

 

Natürlich ist man als Anwalt einer Partei erfreut, wenn die Gegenseite keine Beweismöglichkeiten für ihre Behauptungen hat oder fehlerhaft vorträgt. Das Gericht hat zwar eine Hinweispflicht (§ 139 ZPO), die aber  (und darauf ist stets zu achten) nicht so weit geht, einer Partei quasi den notwendigen Einwand/Vortrag in den Mund zulegen (Frage der Befangenheit des zuständigen Richters).  

 

Das Gewinnen eines Prozesses aufgrund Beweisnot der Gegenseite oder gar fehlerhaften Verhaltens des Anwalts der Gegenseite ist sicherlich nicht „erbauend“ für einen selbst. Dies jedenfalls dann, wenn man davon  ausgeht, dass der eigene Mandant Unrecht hat oder dies gar weiß und durch Nutzung der prozessualen Umstände verhindert hat, zu berücksichtigen. Häufig wird hier von Kollegen argumentiert, wenn Du das nicht gemacht hättest, hätte es ein anderer gemacht.  Unabhängig davon, dass nicht bekannt ist, ob der Andere diese prozessualen Möglichkeiten erkannt hätte, bleibt ein ungutes Gefühl zurück.

 

Recht haben und Recht bekommen sind zwei Paar Schuhe. Dies ist eine allgemeine Weisheit, die auf den vorgenannten Umständen und zudem drauf beruht, dass das Gericht in der Würdigung frei ist.  Was ist Wahrheit ? Diese  - gar in einem Zivilprozess -  festzustellen ist äußerst schwierig, letztlich nicht objektiv möglich. Wenn dann der Anwalt alle ihm möglichen Einwendungen erhebt, ist dagegen sicherlich nichts einzuwenden. Problematisch wird es doch erst dann, wenn der Anwalt positiv vom eigenen Mandanten (gar aus eigener Anschauung) einen
Sachverhalt kennt, der gegen die Annahmen des Gerichts spricht. Dann aber hätte er falsch vorgetragen. Hat er sich an die Prozessordnung gehalten, wahrheitsgemäß das dem Mandanten zurechenbare Wissen vorgetragen,  und beruht darauf die Entscheidung, hat er sich nichts persönlich vorzuwerfen, unabhängig davon, on er den Angaben des eigenen Mandanten glaubte /denn: Glauben ist nicht Wissen).  Problematisch könnte es nur werden, wenn er bei wahrheitsgemäßen Vortrag nur auf der Grundlage der Regelungen in der Prozessordnung gewinnt, wohlwissend, dass an sich anders hätte entschieden werden müssen.   

 

Unabhängig davon, dass es nicht illegitim ist, die Prozessordnung für sich zu nutzen, kann diesem Anwalt kein Vorwurf gemacht werden, da er nur  - wie auch verfassungsrechtlich vorgesehen – die Interessen des eigenen Mandanten wahrgenommen hat. Dazu aber ist er verpflichtet. Dass ein ungutes Gefühl verbleibt, ist etwas anderes; damit muss dann der einzelne Anwalt zurechtkommen.

 

Ich muss sagen, dass ich zwar häufig bereits aus prozessualen Gründen in Verfahren obsiegte, aber nie den Eindruck hatte,  dass dies verfehlt war.